Eckart von Hirschhausen über Komik & deutschen Humor - WELT (2024)

Eckart von Hirschhausen, so sagen es alle Dokumente, soll ja 47 Jahre alt sein. Wer ihm gegenübersitzt und ihm in die Augen blickt, wird unsicher. Es sind die Augen eines Jungen, eines frechen Jungen. Damit er nicht einfach als Frechdachs durchgeht, hat er sich – wie immer – einen ziemlich erwachsenen Anzug übergestreift und plaudert vor sich hin. Nimmt selten direkten Kurs auf eine Pointe, vermeidet sie aber auch nicht. Seine mediale Blitzkarriere hat ihn eher entspannt als fahrig gemacht. Man hängt gerne mit ihm ab. Die Professionalisierung seines Humors hat ihn frisch gehalten.

Die Welt: Angestoßen durch eine Anzeige gegen Ihren Kollegen Dieter Nuhr, wurde in Deutschland viel über das schwierige Verhältnis zwischen Humor und Islam diskutiert. Wie nehmen Sie dieses Spannungsfeld wahr?

Eckart von Hirschhausen: Spannend. Aber ich schließe mich Dieter Nuhr da an, dass man mit einem großen Teil der medialen Welle nur den Spinnern in die Karten spielt, die viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, als guttut. Die Anzeige ist längst zurückgezogen. Es gibt eine ganz junge Garde von Komikern mit Migrationshintergrund, jenseits von Bülent Ceylan und Kaya Yanar, hervorragende neue Talente, zum Beispiel die Gruppe RebellComedy. Und wenn Integration in Comedy-Clubs stattfindet, ist das doch ein schönes Beispiel für die aggressionsmindernde Wirkung von Humor. Jede Diktatur, jede Ideologie hatte schon immer Angst vor ihrer eigenen Widersprüchlichkeit und deshalb Angst vor einer satirischen Entlarvung. Humorlosigkeit ist das sicherste Indiz für Fundamentalismus. Denn wer die Wahrheit mit Löffeln gefressen hat, erträgt keinen Perspektivwechsel, keine Doppeldeutigkeit, keine Ambivalenz. Und das ist auch in Deutschland nicht allzu lange her. Willy Brandt besucht Walter Ulbricht und versucht mit Small Talk, das Eis zu brechen: „Ich sammle Witze, die die Leute über mich erzählen.“ Darauf Ulbricht: „Ich habe ein sehr ähnliches Hobby. Ich sammle Leute, die Witze über mich erzählen.“

Die Welt: Dieter Nuhr beklagt mangelnde Solidarität vonseiten der Komödiantenzunft. Hat er damit recht?

Hirschhausen: Komiker sind tatsächlich ein komisches Volk, es gibt leider mehr Neid als Solidarität. Oft sind es Einzelkämpfer, die sich auch nicht organisieren in einem Kombinat der Komikschaffenden und gemeinsame Presseerklärungen herausgeben. Wobei in meiner Erinnerung Bruno Jonas schon vor Jahren auf das Dilemma von islamkritischen Witzen hingewiesen hat. Vince Ebert hat in seinem Programm über Freiheit sehr witzige Passagen über den Islam auf die Bühne gebracht, lange vor der Diskussion. Jürgen Becker hatte ein hervorragendes Programm über die Entstehung der Weltreligionen, Andreas Rebers nimmt kein Blatt vor den Mund. Als ich letzte Woche als Gastredner vor den versammelten Verlegern Deutschlands gesprochen habe, appellierte ich stark für eine Kampagne in allen Zeitschriften, die so lange Karikaturen über alle Religionen verbreitet, bis jedem in Deutschland klar ist, was für ein hohes Kulturgut die Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit ist. Auch in dem Sinne, dass man frei ist, seine Meinung zu äußern, ohne von irgendeiner Gruppe bedroht zu werden.

Die Welt: Haben Sie selbst Angst, eine gallige Pointe gegen islamische Gepflogenheiten zu setzen?

Hirschhausen: Nein, aber ich beschäftige mich mit anderen Themen. Ich mache ja auch im Gegenzug den politischen Kabarettisten keinen Vorwurf, dass sie sich mit vielen anderen Tabus nicht auseinandersetzen, die ich beackere: von Organspende, Pflegenotstand bis zur quasireligiösen Alternativmedizinszene. In einer Passage erzähle ich in meinem „Wunderheiler“-Programm, welchen Sinn Rituale für das Gesundheitsverhalten haben. Christen knien sich sonntags hin, um Demut zu üben. Andere Religionen verneigen sich fünf Mal am Tag in eine bestimmte Himmelsrichtung. Mal ganz unter uns: Knie belasten oder Rücken dehnen – orthopädisch betrachtet ist uns der Islam voraus!

Die Welt: Angeblich haben Sie schon als Kind Witze gesammelt. Wie verlief denn Ihre Humorbiografie?

Hirschhausen: Ich glaube, Humor wird stark in der Familie geprägt. Meine Eltern sind noch in Estland geboren, und es gibt zwei große Vorbilder, die beide lustigerweise auch aus dem Baltikum stammen: Heinz Erhardt und Robert Gernhardt.

Die Welt: Sie haben also einen baltischen Humor?

Hirschhausen: Keine Ahnung, ob es das gibt. Aber es gibt auf alle Fälle den prägenden Einfluss, ob in der Familie Kreatives gefördert oder unterdrückt wird. Meine Eltern haben beide selbst viel Humor, und auch Kabarett auf der Bühne und im Fernsehen verfolgt. Als Kind kapierte ich natürlich nicht, worüber sie bei Dieter Hildebrandt im Detail lachten, aber ich wusste schon, so etwas will ich auch mal machen. Ich begann, Witze zu sammeln und daraus kleine Bücher zu Weihnachten zu verschenken. Ich habe in den Untiefen meines Hirnes unglaublich viele schlechte und ein paar gute Witze gespeichert, an die ich nicht auf Knopfdruck komme, aber durch Assoziation.

Die Welt: Gerade wollte ich Sie nach einem Lieblingswitz fragen.

Hirschhausen: Den gibt es so nicht, denn ein guter Witz muss ja zum Kontext passen. Ich habe aber einen ganzen Abend lang Lieblingswitze erzählt. Vor zwei Jahren mit Hellmuth Karasek, und weil das unerwartet eines der erfolgreichsten Hörbücher wurde, habe ich das Experiment mit Jürgen von der Lippe wiederholt.

Die Welt: Wie hat das funktioniert?

Hirschhausen: Das Publikum hat sich weggeschmissen. Und zu der CD schrieb uns jemand, er wollte die im Auto hören, musste aber rechts ranfahren, weil er so lachen musste. Ich dachte, Lachen ist die beste Medizin, aber es hat offenbar Nebenwirkungen! Alles was wirkt, hat Nebenwirkungen. Aber die frohe Botschaft, man kann sich öfter als zwei Mal halb totlachen!

Die Welt: Aber auch von der Lippe geriet in hitzige gesellschaftliche Debatten, als er sich mit dem – staatlich verordneten – Gender-Irrsinn anlegte. Nagt guter Humor wieder am Nerv der Zeit?

Hirschhausen: Jürgen sagt, was er denkt. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, er ist ein Grandseigneur, ein Silberrücken, ein freier Geist, und von der Sorte gibt es viel zu wenig. Er ist in meinen Augen einer der unterschätztesten Komiker. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich seinerzeit bei „Geld oder Liebe“ entdeckt hat. Und natürlich, dass er bereit war, für meine Stiftung „Humor hilft Heilen“ seine liebsten Pointen und Einsichten in das Hörbuch „Ist das ein Witz?“ einfließen zu lassen, für die gute Sache. Das Ding läuft unglaublich erfolgreich, obwohl jeder ja gesagt hätte, Witze sind out. Quatsch. Man muss sie nur gut erzählen können!

Die Welt: Wie kommt denn Ihre Botschaft, Lachen ernst zu nehmen, in der Ärztewelt an?

Hirschhausen: Langsam, aber sicher. Am meisten Sorgen machen mir derzeit die Pflegekräfte, die haben echt wenig zu lachen. An ihnen wird gespart bis zum Umfallen, es kommen schon keine mehr nach, und gerade die Motivierten werden frustriert und verlassen das System. Als kleine Gegeninitiative fördern wir gerade viele Workshops für die Pflegekräfte, wo sie ihre spielerische Freude in der Begegnung wiederentdecken können und merken, was für ein wichtiger Teil der Zuwendung und Behandlung sie sind.

Die Welt: Das wird jetzt ganz schön ernst. Ist das nur ein Klischee, dass Komiker oft Melancholiker sind?

Hirschhausen: Es gibt so viele verschiedene Arten von Komik und Komikern, dass ich nur eine Verallgemeinerung machen würde: Die meisten sind, wie sie sind. Auf kuriose Art und Weise sind die meisten Komiker nicht weit weg von ihrer echten Persönlichkeit. Ich habe einmal mein großes Vorbild John Cleese in der Nationalgalerie in Berlin vor dem Postkartenständer gesehen. Diese sind ja drehbar, damit man sich bequem alle in der Runde einmal anschauen kann. John Cleese machte es aber auf seine Art: Er ist ja sehr lang, also ging er einen Schritt zurück, knickte in der Hüfte ab und bewegte sich mit vorgebeugtem Oberkörper einmal um das Ding herum. Ich hatte in der Sekunde keinen Fotoapparat, aber es war exakt die Körperkomik von seinem legendären Sketch über das Ministerium der verrückten Gangarten. Oder anderes Beispiel, Rüdiger Hoffmann. Da denkt man, boah, genial, wie er diesen ganz langsamen Typen da auf der Bühne spielt. Steht man ihm irgendwann gegenüber, merkt man, er ist gar nicht so anders als auf der Bühne. Leute, die eine sehr künstliche Figur spielen, mit Perücke, Akzent und Verkleidung, merken oft, dass sie sich dadurch auf Dauer begrenzen, dass sie sich dann nicht weiterentwickeln können. Und ich hab von Anfang an gesagt: Ich bin kein Schauspieler, ich erzähle das, was ich erlebe, und so, wie ich bin.

Die Welt: Der Name ist natürlich alles.

Hirschhausen: Ja, denkt jeder, ist ein Künstlername, aber damit wurde ich nun mal geboren. Aber zurück zu meiner Humorbiografie. Ich habe in London ein Jahr studiert, das war 1989/90. Just zum Mauerfall – da wächst man in Berlin auf, dann ist mal endlich hier was los, und ich war im Ausland, auch ein Witz. Aber egal, dafür habe ich in London sehr viel Improvisationstheater und Stand-up-Comedy gesehen. Das waren Mixed-Shows. In Deutschland gab es bis dahin weitgehend Soloprogramme. Das hat sich in den letzten 20 Jahren extrem verändert. In Berlin hat sich eine breite Szene entwickelt. Die Leute, die sich ausprobieren können, sind mehr geworden, und dadurch ist auch die Spitze in der Qualität besser geworden. Weder in England noch in Amerika machen Komiker so große Tourneen. Der deutsche Humor ist sehr viel besser als sein Ruf.

Die Welt: Die Intellektuellen rümpfen die Nase.

Hirschhausen: Sollen sie doch. Man kann über Mario Barth denken, was man will, aber die Art und Weise, wie er durchgängig abgewatscht wurde, wird ihm nicht gerecht. Als guter Journalist sollte man eher fragen, was für einen Nerv trifft er, dass so viele Leute drauf abfahren.

Die Welt: Es ist sein Dialekt. Überhaupt Dialekte ...

Hirschhausen: Eine gute Beobachtung. Fernsehen ist ein Massenmedium, und man kann Menschen nur zum Lachen bringen über Dinge, die sie kennen und wiedererkennen. Deswegen limitieren sich viele eben auf zwei große Themen, Politik im Kabarett und Mann und Frau in der Comedy. Das dritte große Thema, was wir alle gemeinsam haben, ist Leib und Seele. Und das habe ich für die Komik salonfähig gemacht, indem ich das medizinische Kabarett begründet habe.

Die Welt: Vielleicht ist das auch witziger als der hundertste Witz über Angela Merkel und Westerwelle mit pseudo-aufklärerischer Attitüde, als wäre das jetzt irgendwie wahnsinnig revolutionär ...

Hirschhausen: Ist es nicht. Medizin war klassisches Herrschaftswissen, und Menschen zu befähigen, sich gegen ein sehr mächtiges Gesundheitssystem aufzulehnen mit so einfachen, aber subversiven Fragen wie „Herr Doktor, was passiert eigentlich, wenn ich nichts mache?“ – das ist eine stille, aber wirksame Revolution von unten.

Die Welt: Waren Komiker in Ihrer Jugend der Klassenkasper?

Hirschhausen: Nein, ich auch nicht. Komik hat mit der ärztlichen Kunst eine ganze Menge gemeinsam: Man muss genau hingucken und braucht etwas Diagnostisches. Nicht die, die im Mittelpunkt stehen, werden Komiker, sondern diejenigen, die am Rand stehen. Weil man von da besser beobachtet. Klassenkasper sind oft spontan lustig, können das aber nicht reproduzieren. Sie brauchen eine Vorlage von außen, und dann können sie reagieren. Leute aus sich heraus zum Lachen zu bringen ist unendlich viel schwerer. Leicht ist schwer! Die Kunst der Komik ist grandios unterschätzt.

Die Welt: Sie wollen die Anerkennung des Feuilletons?

Hirschhausen: Ich dachte, das ist hier Feuilleton? Taxi!

Die Welt: Es gab neulich eine Debatte, warum es so wenig zeitgenössische Komödien im Theater gibt, obwohl genug Themen da sind. Woran liegt das Ihrer Meinung?

Hirschhausen: Komisches Talent war und ist immer Mangelware. Ich glaube, dass die Leute, die früher Theaterstücke geschrieben haben, heute andere Wege haben, dieses Talent zu nutzen. Früher hat ein Johann Nestroy ein Theaterstück geschrieben, heute würde der wahrscheinlich eine Serie fürs Fernsehen schreiben oder mit seinem Stand-up-Programm auf die Bühne gehen.

Die Welt: So wie Sie.

Hirschhausen: Es gibt zwei Katastrophen im Leben eines Komikers. Was sich jeder gut vorstellen kann: Du hast dir etwas in deinen Augen Puppenlustiges überlegt, du bringst es, und keiner lacht. Mindestens so schmerzhaft ist, wenn alle Leute lachen, und du weißt nicht, warum!

Die Welt: Wie oft passiert Ihnen das? Sie sind doch sehr routiniert ...

Hirschhausen: Das trügt. Ich habe tatsächlich jeden Abend auf der Bühne neu Spaß, und das überträgt sich auch. Ich habe keinen festen Text, es ist eher ein Dialog mit dem Publikum. Ich baue in jedes Programm viel Interaktion ein, sonst wird mir selbst langweilig, wenn nicht immer wieder etwas Unerwartetes passiert. Jetzt beim „Wunderheiler“ schreiben mir die Zuschauer zum Beispiel, was sie selber an Wundersamem erlebt haben. In Berlin kam original der Spruch: „Ein Wunder ist geschehen. Ich kann wieder laufen – jemand hat mein Fahrrad geklaut!“

Die Welt: Muss ein Komiker auf der Bühne vor allem selbstbewusst sein, oder kann er auch verletzlich daherkommen?

Hirschhausen: Es geht beides. Komik kommt oft durch Wechsel im Status oder der Tonalität. „There are people who say funny and people who do funny.“ Kurt Krömer muss nur auf die Bühne kommen, und schon findet man ihn lustig. Bei Wigald Boning ist es ähnlich. Dieser körpersprachliche Humor, den habe ich gar nicht. Ich mache manchmal sehr alberne Sachen wie eine rhythmische Sportgymnastik, um statistische Kurven zu erklären. Und dann sitze ich leise am Lagerfeuer und ziehe Bilanz. Gerade die ruhigen Momente liebe ich, und mein Publikum auch. Das geht im Theater, im Fernsehen hätten die Redakteure Angst, dass jemand wegschaltet. Wer mich nur aus dem Fernsehen kennt, kennt mich nicht wirklich.

Die Welt: Warum ist Lachen eigentlich ansteckend?

Hirschhausen: Das echte Lachen und das falsche Lachen erkennt man am Decrescendo, am Leiserwerden des Geräusches. Und an der Ansteckung! Macht der Chef einen Witz, lacht man zwar pflichtbewusst, aber nicht aus dem Bauch oder Herzen. Hahaha, und dann endet es abrupt. Gefolgt von peinlicher Stille. Ein echtes Lachen geht so lange, bis der eine keine Luft mehr hat, und das genau ist der ansteckendste Moment. Wenn dem einen die Puste ausgeht, setzt der andere an. Lachen ist ja ein wichtiges evolutionspsychologisches Signal an die Gruppe: „Entspannt euch, alles nicht so schlimm wie gedacht!“ So erklären sich auch Phänomene wie Lachflashs, wo man sich gegenseitig immer wieder im Kreis ansteckt.

Die Welt: Lachen Frauen anders als Männer?

Hirschhausen: Männer üben von klein auf, Witze nachzuerzählen. Mädchen tun das viel seltener. Männer machen typisch gleich wieder einen Leistungskampf draus, wer hat den geilsten, den längsten, den neuesten ... Frauen lachen weniger über vorgefertigtes Material, sondern viel eher über sich selber. Männer versuchen, mit dem Witz ihren Status zu erhöhen, Frauen eher das Gegenteil, wenn sie erzählen, was ihnen selbst Peinliches passiert ist. Sehr pauschal. Es gibt immer mehr großartige Komikerinnen!

Die Welt: Wie gemein dürfen Witze sein? Mein Lieblingswitz über die Grünen geht so. Sagt ein Grüner zum anderen: „Bei Hitler war ja nicht alles schlimm.“ Sagt der andere: „Stimmt. Hätte er nur nicht die Autobahnen gebaut.“

Hirschhausen: Ein Vorbild von mir ist Viktor Frankl. Er saß wegen seiner jüdischen Herkunft im KZ und hat aus der Erfahrung dort die Welt der Psychologie revolutioniert. Er betonte, dass die letzte Freiheit darin besteht, was ich in meinem Kopf denke. Das kann keiner nehmen, auch kein KZ-Wärter. Deswegen hat er sich mit anderen jüdischen Intellektuellen verabredet, sich jeden Tag Witze zu erzählen. Das stärkte ihren Überlebenswillen, um am Leid nicht zu zerbrechen. Daraus hat er später abgeleitet, dass Leute in irgendeiner Form einen Sinn in ihrem Leben sehen müssen, damit sie seelisch gesund bleiben. Im vergangenen Jahr habe ich seine Witwe kennengelernt. Eine ganz beeindruckende Frau.

Die Welt: Zufällig?

Hirschhausen: Nein, ich habe das Viktor-Frankl-Museum in Wien besucht, und sie wohnt nebenan und wurde mir vorgestellt. Ich fragte sie, was für ein Mensch Viktor Frankl war. Und das Erste, was sie sagte: „Viktor war ein Kasper.“

Die Welt: Gab es Kabarett im Dritten Reich?

Hirschhausen: Ja, unter halsbrecherischen Bedingungen traute sich zum Beispiel Werner Finck, in seinem Programm zwei Gestapo-Leute anzusprechen, die sich Notizen machten: „Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?“ Von ihm soll auch die Definition stammen: Humor beginnt da, wo der Spaß aufhört.

Die Welt: Chaplins „Großer Diktator“ wird als große Kunst anerkannt.

Hirschhausen: Heute hätte – Vorsicht, es kommt eine gewagte These – jemand wie Hitler relativ schnell so viele Parodisten auf YouTube, dass seine Faszination von damals hoffentlich nie mehr möglich wäre. Alle Diktaturen und alle Ideologen dieser Welt hatten stets Angst vor Komik. Wie in dem berühmten Märchen von „Des Kaisers neue Kleider“, wenn einmal jemand gesagt hat, der Kaiser ist nackt, dann sehen es die anderen auch. Wer ist so frei zu sprechen, so narrenfrei? Der Komiker, das Kind, der Clown, die dürfen Wahrheit aussprechen.

Die Welt: Ist Komik Weltverbesserung?

Hirschhausen: Erträglich-Machung ist ja schon was. Amnesty International dokumentiert Jahr für Jahr, wie viele freie Geister – nicht nur Journalisten, sondern auch Komiker – gefoltert und inhaftiert werden. Michael Mittermeier machte eine wunderbare Kampagne für einen burmesischen Komiker, der inzwischen auch daraufhin freigelassen wurde. Es gibt leider wenig weltumspannende Solidarität unter den Komikschaffenden, aber die Situation in Deutschland, in der wir uns nicht trauen, über alle Weltanschauungen und Religionen gleichermaßen Witze zu machen, die finde ich bedrohlich. Auch wenn ich Christ bin, kann ich das schätzen, wenn jemand gute Jesus- oder Gott-Witze macht. Mein Glaube wird dadurch nicht angekratzt. Es gibt in allen Religionen den Versuch, sich den unlösbaren Paradoxien des Lebens mit Witz zu nähern. Nicht nur im berühmten jüdischen Humor, auch in buddhistischer, muslimischer und christlicher Tradition. In einer Studie über die Humorentwicklung von Kindern haute ein Sechsjähriger einen Satz heraus, über den man immer wieder staunen kann: „Man kann nie wieder etwas verlieren, wenn man weiß, wo Irgendwo ist.“

Die Welt: Was ist mit einem Humor, der Pointen verweigert? Wie: Kommt ’ne Birne an zwei Äpfeln vorbeigeflogen. Ruft der eine Apfel: Birnen können doch gar nicht fliegen. Sagt der andere: Das ist die Birne Maja.

Hirschhausen: Es gibt in der Humorforschung interessante Parallelen zur Persönlichkeitsstruktur. Goethe sagte schon: Nichts beschreibt den menschlichen Charakter mehr als das, worüber er sich amüsiert. Der große Unterschied zwischen deutschem und englischem Humor ist: Löst sich mit der Pointe das Rätsel auf, oder bleibt es bestehen? In Monty Pythons Papageien-Sketch kommt ein Mann mit einem toten Papagei, der an der Stange festnagelt ist, in den Shop und diskutiert mit dem Verkäufer. Aber es wird nie erklärt, wie es dazu kam, und es endet auch nicht mit einer Pointe. Das ist das, was man „Non-resolution-humor“ nennt. Das heißt, es bleibt ein Gefühl der Befremdung. Und das lieben Leute, die zum Beispiel auch Jazz lieben, das Ungeordnete, das Chaotische, das Überraschende. Das sind Leute, die auch eher politisch links wählen. Man weiß von konservativeren Geistern, dass sie mehr Putzmittel verwenden, ihre Schreibtische sortierter haben und klare Pointen schätzen, wo am Ende die Welt wieder stimmt. Dieser Dünkel, dass Humor irgendetwas Oberflächliches sei, ist ebenso deutsch wie falsch.

Die Welt: Warum gibt es Humor überhaupt?

Hirschhausen: Meine Lieblingsidee dazu kommt aus der Kognitionsforschung: Wir brauchen ein Korrektiv für unsere Tendenz, im Kopf ständig Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu sehen, auch dort, wo keine sind.

Die Welt: Humor relativiert das Realität konstruierende Ursache-Wirkung-Gesetz?

Hirschhausen: Ja, und die Korrektur wird lustvoll erlebt. Das ist doch großartig. Paul Watzlawick hat dafür ein hübsches Beispiel: Geht ein Mann durch die Straße und klatscht immer in die Hände. Und dann wird er gefragt, warum er das tut. „Ich vertreibe die Elefanten.“ „Aber hier gibts doch keine Elefanten.“ „Sehen Sie!“

Die Welt: Ist Lachen tatsächlich die beste Medizin?

Hirschhausen: Die beste Definition von Humor ist: Humor is tragedy plus time. Die Erfahrung, dass etwas, was uns unheimlich stresst und schmerzt, dass man darüber später mal lachen kann, das ist wahrscheinlich eine der größten Leistungen unseres seelischen Systems. Und Lachen ist ein sehr gutes Schmerzmittel. Hauen Sie sich doch mit dem Hammer auf den eigenen Daumen. Einmal alleine und einmal in Gesellschaft. Sie spüren den Unterschied. Alleine tut es lange weh. In Gesellschaft muss man über sein Missgeschick lachen, und der Schmerz lässt nach. Und deshalb sollten Menschen mit Schmerzen nicht alleine sein und etwas zu lachen bekommen. Das ist die Grundidee, warum ich Clowns in Krankenhäuser und die Altenpflege bringe.

Die Welt: Haben es die Menschen auch wegen des Humors so weit gebracht?

Hirschhausen: Ja – es ist der beste Nährboden für Kooperation und Kreativität. Für Freud hatte Humor tendenziell immer mit Verdrängung zu tun. Ich sehe das anders: Unser Verstand versucht, die Welt in richtig und falsch, Gut und Böse, rechts und links einzuteilen. Dafür ist die Welt aber zu kompliziert. Man kann an den Widersprüchen verzweifeln, man kann darüber verrückt werden, oder man kann darüber lachen. Und kurioserweise gibt es im Hirn drei Zustände, in denen Widersprüche bestehen können: der Traum, die Psychose und der Witz. Zum Beispiel der: Ein Mann geht früh morgens aufs Eis und versucht, mit seiner Spitzhacke ein Loch ins Eis zu hauen. Plötzlich hört er eine Stimme von oben: „Hier gibt es keine Fische.“ Er denkt, das hab ich mir nur eingebildet, es ist früh und noch Nebel, ich hab noch Restalkohol. Und hackt weiter. Wieder hört er diese Stimme: „Hier gibt es keine Fische.“ Ergriffen wendet er durch den Dunst den Blick nach oben und sagt: „Herr, bist du es?“ Und die Stimme antwortet: „Nein, ich bin der Sprecher des Eisstadions.“

Die Welt: Mögen Sie Karikaturen?

Hirschhausen: Mein Lieblingscartoon von Til Mette: Zwei Männer sitzen sich an einem Tisch gegenüber, einer trinkt, der andere raucht. Das ist jetzt blöd zu umschreiben, also, der Betrachter sieht ja von außen auch unter den Tisch und damit auch, dass der Raucher amputiert ist. Das sieht aber der, der ihm gegenübersitzt, logischerweise nicht, ist ja kein Glastisch. Der mit dem Glas sagt zu dem Amputierten: „Wissen Sie nicht, das man davon Raucherbeine bekommt?“ Und der sagt nur: „Schön wär’s.“

Die Welt: Das ist jetzt aber schwarzer Medizinerhumor ...

Hirschhausen: Sie haben gefragt! Gut, dann noch ein schwarz-weißer Lieblingswitz von mir: Kommt ein Dalmatiner an die Supermarktkasse und wird gefragt: „Sammeln Sie Punkte?“

Die Welt: Was mögen Sie so an dem?

Hirschhausen: Nur wenn im ersten Satz vor dem geistigen Auge des Zuhörers der Punktehund entstanden ist, kann mit dem zweiten Teil die Pointe zünden. Die Vorstellung, dass ein weißer unbefleckter Hund herumläuft und Punkte sammelt, kämpft mit der Absurdität, dass die Verkäufer ständig und immer diese Frage stellen, ob sie Sinn macht oder nicht. Und weil unser Verstand sich zwischen den beiden Deutungen nicht für eine „richtige“ entscheiden kann, gibt es eine logische Spannung, die sich im Lachen entlädt. Und wenn Sie meinen, Humor sei nicht nachhaltig, wette ich heute mit Ihnen, dass Sie das nächste Mal, wenn Sie an einer Kasse gefragt werden „Sammeln Sie Punkte?“, nicht anders können, als von einem seltsamen Grinsen erfasst zu werden, von dem nur Sie und die Leser wissen, warum.

Eckart von Hirschhausen über Komik & deutschen Humor - WELT (2024)

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Name: Otha Schamberger

Birthday: 1999-08-15

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Job: Forward IT Agent

Hobby: Fishing, Flying, Jewelry making, Digital arts, Sand art, Parkour, tabletop games

Introduction: My name is Otha Schamberger, I am a vast, good, healthy, cheerful, energetic, gorgeous, magnificent person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.